Stellungnahme
zum Gesetzesentwurf der Fraktion der FDP für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes vom
4.12.2014
Ausgangspunkt
Der Hessische Gesetzgeber hat im Hessischen Ladenöffnungsgesetz Ausnahmen an vier Sonntagen im Jahr zugelassen, wenn aus Anlass eines örtlichen Festes, eines Marktes oder einer Messe ein so
großer Besucherstrom im Ort entsteht, dass die Versorgung dieser Men-schen nur durch die Öffnung der Ladengeschäfte sicher gestellt werden kann.
Zunehmend kritisieren Kirchen, Gewerkschaften, soziale Verbände und auch Einzelpersonen, dass zahlreiche Veranstaltungen nur als Beiwerk ins Leben gerufen werden, um das Erfor-dernis des Gesetzes
formal zu erfüllen. Mehrere Gerichte haben deshalb beantragte Laden-öffnungswünsche bereits als nicht zulässig beurteilt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat diese Entscheidungen voll
inhaltlich bestätigt. Gegen diesen Anlassbezug geht nun der Gesetzesentwurf der Fraktion der FDP im Hessischen Landtag vor.
Das Referat Wirtschaft-Arbeit-Soziales vertritt die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck in der „Allianz für den freien Sonntag - Hessen“. Das Referat nimmt daher zum Ge-setzesentwurf der
Fraktion der FDP Stellung.
Stellungnahme zu einzelnen Argumenten des Gesetzesentwurfs
1. „Das derzeitige Hessische Ladenöffnungsgesetz erlaubt es den Gemeinden, an vier Sonn- oder Feiertagen im Jahr für einen zeitlich begrenzten Zeitraum von maximal sechs
zu-sammenhängenden Stunden verkaufsoffene Sonn- bzw. Feiertage zu veranstalten. Die Freigabe erfordert zudem ein Sonderereignis in Form von Märkten, Messen, örtlichen Festen oder ähnlichen
Veranstaltungen.“ (vgl. Gesetzesentwurf FDP: A. Problem, Abs. 1)
Das Ladenöffnungsgesetz erlaubt die Öffnung an max. vier Sonntagen bei Vorliegen eines Sonderereignisses. „Max.“ bedeutet, dass auch ein, zwei oder drei verkaufsoffene Sonntage möglich wären. In
der Vergangenheit wurden an vielen Orten vier Sonntage voll ausge-schöpft. Auch unter Erfindung solcher Sonderereignisse. Der gute Wille, den Sonntagsschutz wirklich ernst zu nehmen, ist daraus
nicht erkennbar. Diese Haltung führt auch zu der Um-deutung, die sich in der Formulierung „zudem“ ausdrückt: Ein Sonderereignis ist nicht „zu-dem“, also zusätzlich zur sonntäglichen Ladenöffnung
erforderlich, sondern es ist der einzige Grund, der eine Ladenöffnung überhaupt rechtfertigen kann.
2. „In der Praxis hat dies dazu geführt, dass diese bestehende Fassung des Hessischen
Ladenöffnungsgesetzes Gegenstand einer Reihe von Gerichtsverfahren und –ent-scheidungen geworden ist. In diesen stand häufig die Frage im Mittelpunkt, ob das ver-anstaltete Sonderereignis
Hauptsache und damit die Ladenöffnung rechtmäßig, oder bloßer Nebeneffekt der Ladenöffnung und damit nicht mit den tatbestandlichen Voraus-setzungen des HLöG vereinbar (gewesen) ist. Dies hat zu
erheblicher Rechtsunsicherheit für die Gewerbetreibenden, die Veranstalter und die ausrichtenden Kommunen geführt.“ (vgl. Gesetzesentwurf FDP: A. Problem, Abs. 2)
Eine „erhebliche Rechtsunsicherheit“ hat es nicht gegeben. Wenn, dann ist sie nur durch eine laxe Genehmigungspraxis für Sonntagsöffnungen entstanden. Wäre dies dem Gesetz entsprechend restriktiv
umgesetzt worden, hätte es auch der Klagen durch die Allianz für den freien Sonntag (vertreten durch Verdi und evangelische Dekanate) kaum bedurft. Inso-fern ist durch die Klagen eine
Rechtssicherheit deutlich geworden, die aber auch zuvor schon bestanden hat.
Die Verfasser geben an, u.a. Rechtssicherheit und Transparenz herstellen zu wollen. Am En-de aber (siehe Seite 3) stellen sie auf die Abstimmung zwischen benachbarten Gemeinden zwecks Schaffung
eines sinnvollen Veranstaltungsrhythmus ab. Dabei würde mit einem sol-chen Verfahren den Streitigkeiten über Wettbewerbsnachteile erst Recht Tür und Tor geöff-net und in der Folge die Gerichte
beschäftigt – was die Verfasser aber angeben verhindern zu wollen.
Auf der einen Seite für eine Verschärfung der Konkurrenz der Gewerbetreibende – selbst zulasten des Sonntagsschutzes – zu sorgen und auf der anderen Seite von einvernehmlichen Verhandlungen der
Gemeinden auszugehen, die vor der Veranstaltung von verkaufsoffenen Sonntagen über den Veranstaltungsrhythmus Einigung erzielen sollen, lässt diese Idee schon im Kern sehr fragwürdig
erscheinen.
Zudem: Transparenz und nachvollziehbare Kriterien gibt es bereits. Man muss sie nicht tei-len, das heißt aber noch nicht, dass es keine gibt.
3. „Auch die unflexible Handhabung von vier verkaufsoffenen Sonntagen im Jahr pro Kom-mune führt zu teilweise unbilligen Konstellationen: So können zwei unmittelbar
neben-einanderliegende kleine Gemeinden in einem kleinen Marktgebiet - unter Umständen in Abstimmung miteinander - an acht Sonntagen im Jahr für die gleiche Konsumentenziel-gruppe sonn- und
feiertags öffnen, die Großstadt Frankfurt mit seinen 46 Stadtteilen und einer bedeutend größeren Bevölkerung und Konsumentengruppe jedoch höchstens vier Mal insgesamt pro Jahr.“ (vgl.
Gesetzesentwurf FDP: A. Problem, Abs. 3)
Eine Konkurrenz und Ungleichbehandlung zwischen den Kommunen würde nicht ins Gewicht fallen, wenn die Ausnahmen auch wirklich Ausnahmen blieben und das Gesetz seiner Inten-tion entsprechend
angewendet worden wäre. In diesem Absatz geht es den Verfassern um die Verteilung von Marktanteilen. Das Argument, dass diese gerecht verteilt sein sollen, kann jedoch nicht verdecken, dass es
ausschließlich um Verkaufs- und Kaufinteressen geht. Die Konkurrenz zwischen Stadtteilen wird zulasten des Sonntagsschutzes durch diesen Vorschlag angeheizt.
Dazu hat das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2009 aber schon deutliche Aussagen ge-macht: Beide Interessen – also sowohl das Verkaufs- als auch das Kaufinteresse - sind kein hinreichender
Grund für eine Ausnahme vom Verbot der Sonntagsarbeit und für eine Öff-nung der Verkaufsstellen. (vgl. Urteil BVerfG, 1.12.2009, 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 aus: www.bundesverfassungsgericht.de,
Pressemitteilung Nr. 134/2009 vom 1. Dezember 2009)
4. „Um überflüssige Gerichtsverfahren mit höchst diffiziler Beweisführung und -würdigung im Einzelfall, ob die jeweilige Sonderveranstaltung aus sich heraus eine eigene
Anzie-hungskraft besitzt, um einen beträchtlichen Besucherstrom zu generieren, der die Offenhaltung von Verkaufsstellen rechtfertigt (…), wird das Erfordernis eines Sonderereignisses gestrichen.“
(vgl. Gesetzesentwurf FDP: B. Lösung)
Keineswegs waren die Gerichtsverfahren überflüssig. Sie waren notwendig, um die Geneh-migungspraxis wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und dem Gesetz wieder zu seiner Bedeutung zu verhelfen.
Eine restriktivere Prüfung der Kriterien für eine Sonntagsöffnung seitens der Kommunen wird in Zukunft dafür sorgen können, dass keine weiteren Klagen notwendig werden.
Die Bindung an ein Sonderereignis muss bestehen bleiben. Der Sonntagsschutz genießt Ver-fassungsrang - daher bedarf jede Ausnahme eines gewichtigen Grundes. Würde das Ereignis gestrichen, fiele
dieser gewichtige Grund weg, mit dem eine Ausnahme vom Grundrecht des Sonntagsschutzes überhaupt nur begründbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in 2009 dazu deutlich ausgeführt:
„(…) dass gesetzliche Schutzkonzepte für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe erkennbar diese Tage als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben müssen. Hinsichtlich der hier in Rede
stehenden Ladenöffnung bedeutet dies, dass die Ausnahme eines dem Sonntags-schutz gerecht werdenden Sachgrundes bedarf. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und
ein alltägliches Erwerbsinteresse ("Shopping-Interesse") potenzieller Käufer genügen grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe und der
Möglichkeit zu seelischer Erhebung an Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen.“ (vgl. Urteil BVerfG, 1.12.2009, 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 entnommen aus: www.bundesverfassungsgericht.de,
Pressemitteilung Nr. 134/2009 vom 1. Dezember 2009)
Daraus ergibt sich auch, dass die Grundrechte der betroffenen Ladeninhaber aus Art. 12, Abs. 1 GG (Freiheit der Berufsausübung) und Art. 14 Abs. 1 GG (Recht am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb) durch das Verbot der Sonntagsöffnung nicht verletzt werden. Beide Rechte stehen lt. Bundesverfassungsgereicht durch Art. 139 WRV i.V.m. Art. 140 GG unter Schranken- und
Gesetzesvorbehalt. (vgl. Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15.05.2014, 8 A2205/13, S.13)
Zudem darf die Obergrenze von max. vier verkaufsoffenen Sonntagen je Kommune nicht angehoben werden. Eigentlich würde erst eine wesentliche Verringerung dem Sonntags-schutz wirklich
gerecht.
5. „Anknüpfungspunkt soll jedoch nicht mehr zwingend die gesamte Gemeinde sein. In Zu-kunft sollen verkaufsoffene Sonn- und Feiertage auch auf einen durch die
Gebietskörper-schaft definierten Bezirk begrenzt werden können, ohne dass dadurch die Offenhaltung von Verkaufsstellen für das gesamte Gemeindegebiet verbraucht wird. Um eine Über-schneidung von
Freigabeentscheidungen in unmittelbar angrenzenden Gebietskörper-schaften zu vermeiden, sollen sich die benachbarten Gemeinden vor der Veranstaltung von verkaufsoffenen Sonn- oder Feiertagen
untereinander abstimmen.“ (vgl. Gesetzesentwurf FDP: B. Lösung)
Der Bezug auf einzelne Bezirke statt auf Gemeinden, würde die Sonntagöffnungen explodie-ren lassen. Es gibt Schätzungen, dass bei einer Stadt wie z.B. Frankfurt mit 43 Stadtteilen an fast allen
Sonntagen im Jahr eine Ladenöffnung möglich und zu befürchten wäre. Das ent-spricht nicht der grundgesetzlichen Intention. Auch dazu hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig Stellung genommen,
indem es das Regel-Ausnahme-Verhältnis definiert hat:
„Art. 139 WRV statuiert für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen unter anderem ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Grundsätzlich hat die typische ‚werktägliche Geschäftigkeit‘ an Sonn- und Feiertagen zu
ruhen, wobei der Schutz des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV nicht auf einen religiösen oder weltanschaulichen Sinngehalt der Sonn- und Feiertage be-schränkt ist. Die Regelung zielt in
der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung aber auch auf die Verfolgung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung. Dabei soll die von Art. 139
WRV ebenfalls erfasste Möglichkeit seelischer Erhebung allen Menschen unbeschadet einer religiösen Bindung zuteilwerden.“ (vgl. Urteil BVerfG, 1.12.2009, 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 aus:
www.bundesverfassungsgericht.de, Pressemitteilung Nr. 134/2009 vom 1. Dezember 2009)
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung insbesondere der Laden-öffnungen für den Sonntagsschutz betont:
„Bei der Einordnung und Bewertung der Durchbrechungen der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen kommt der Ladenöffnung großes Gewicht zu. Das Erreichen des Ziels des Sonntagsschutzes - des religiös
wie des weltlich motivierten - setzt das Ruhen der typischen werktäglichen Geschäftigkeit voraus. Gerade die Ladenöffnung prägt wegen ihrer öffentlichen Wirkung den Charakter des Tages in
besonderer Weise. Von ihr geht eine für jedermann wahrnehmbare Geschäftigkeits- und Betriebsamkeitswirkung aus, die typischerweise den Werktagen zugeordnet wird. Dadurch werden notwendig auch
diejenigen betroffen, die weder arbeiten müssen noch einkaufen wollen, sondern Ruhe und seelische Erhebung suchen, namentlich auch die Gläubigen christlicher Religionen und die
Religionsgemeinschaften selbst,
nach deren Verständnis der Tag ein solcher der Ruhe und der Besinnung ist.“ (vgl. Urteil BVerfG, 1.12.2009, 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 aus: www.bundesverfassungsgericht.de, Pressemitteilung Nr.
134/2009 vom 1. Dezember 2009)
6. „Mit Blick auf das geänderte Konsumverhalten und die Notwendigkeit, die Innenstädte der hessischen Gemeinden auch in Zukunft wettbewerbsfähig gegenüber den Städten und
Gemeinden der Nachbarbundesländer sowie dem zunehmenden Internet- und Ver-sandhandel zu halten, kommt eine restriktivere Anwendung des Sonntagsschutzes zur Problemlösung nicht in Betracht.“ (vgl.
Gesetzesentwurf FDP: D. Alternativen)
Das veränderte Konsumverhalten gegen den Sonntagsschutz anzuführen, stellt gerade kein Argument dar, weil der Sonntagschutz ja genau zum Ziel hat, alltäglichen Arbeits-, Produkti-ons-, Verkaufs-
und Kaufinteressen entgegenzustehen. Das Bundesverfassungsgericht hat dies 2009 deutlich herausgestellt:
„Das gesetzliche Schutzkonzept für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe muss diese Tage erkennbar als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben; die Ausnahme davon bedarf eines dem
Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes. Bloße wirtschaftliche Interessen von Verkaufsstelleninhabern und alltägliche Erwerbsinteressen der Käufer für die Ladenöffnung genügen dafür
grundsätzlich nicht.“ (vgl. Urteil BVerfG, 1.12.2009, 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 aus: www.bundesverfassungsgericht.de, Pressemitteilung
Nr. 134/2009 vom 1. Dezember 2009)
Vor einer Gesetzesänderung des Ladenöffnungsgesetzes gibt es noch ausreichend Möglich-keiten echter Konkurrenz im Internet zu begegnen. Die meisten großen Händler bieten oh-nehin bereits
Onlinebestellung an. Konkurrieren sie etwa mit sich selbst? Der Onlinehandel ist also gar nicht die Parallelwelt, wie sie oft dargestellt wird. Denn am anderen Ende sitzt am Rechner ebenfalls ein
Händler, der oft auch Filialen in Innenstädten betreibt – immer häufiger Ketten, die überall zu finden sind.
Ohnehin wird durch Sonntagsöffnungen ein schon bestehender Verdrängungswettbewerb - zuungunsten der kleineren Einzelhandelsgeschäfte - nur noch verschärft. Eine Verarmung der Innenstädte durch
diesen Verdrängungswettbewerb ist schon seit Jahren erkennbar. Kleine Einzelhändler (eigentlich die individuellen und regionalen Besonderheiten in den Städten) beteiligen sich, so wird uns oft
berichtet, bei den Sonntagsöffnungen nur notge-drungen – verdienen daran aber im Schnitt nichts, da die Fixkosten an diesem Tag meist hö-her sind als die Einnahmen. Auch aus diesem Grund dient
ein restriktiver Sonntagsschutz besonders den kleinen Einzelhändlern.
7. „E. Finanzielle Auswirkungen - keine
F. Unmittelbare oder mittelbare Auswirkungen auf die Chancengleichheit von Frauen
und Männern - keine“ (vgl. Gesetzesentwurf FDP)
Die Verfasser geben an, dass es im Falle einer Gesetzesänderung keine Auswirkungen auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern gäbe. Diese Einschätzung teilen wir nicht. Denn es würde in
jedem Fall zu vermehrter Sonntagsöffnungen kommen – mit entsprechenden Folgen:
Davon betroffen sind im Einzelhandel insbesondere Frauen. Über 70 % Frauen arbeiten im Einzelhandel und sind daher ungleich häufiger von Sonntagsarbeit betroffen. Für sie bedeu-tet das: Belastung
des Familienlebens, vermehrte Probleme bei der Organisation und Syn-chronisierung von Familienaktivitäten, Pflege und Kinderbetreuung, insgesamt persönliche Mehrfachbelastung, da
Regenerationszeiten viel schwieriger zu organisieren sind, wenn der verlässliche Sonntag wegfiele.
Gibt es insgesamt mehr Sonntagsöffnungen, würde das langfristig auch Auswirkungen auf die Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit haben. Davon sind im Handel dann ebenso wie-der hauptsächlich
Frauen betroffen.
Ein weiterer Punkt der Auswirkungen auf Chancengleichheit ist ebenfalls ein finanzieller: Eine Folge von vermehrten Sonntagsöffnungen ist letztlich Reduzierung von Personalkosten. Es werden
langfristig weniger gut ausgebildete Fachkräfte eingestellt, sondern stattdessen ungelernte Aushilfskräfte. Auch diese Auswirkung auf das Niveau der Nachfrage nach Ar-beitskräften hat negative
Auswirkungen auf die Chancengleichheit von Frauen. Nicht zuletzt ist diese Entwicklung auch eine Ursache für steigende Altersarmut von Frauen.
Ergebnis
Dem Sonntagsschutz, wie er in Art. 140 GG und 139 WRV vorgesehen ist und wie wir ihn voll unterstützen, wird mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf – entgegen der eigenen Einschät-zung seiner
Verfasser nicht ausreichend Rechnung getragen.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Urteil von 2009 eingehend dazu geäußert: Der Grundrechtsschutz erschöpft sich nicht in seinem klassischen Abwehrrecht, sondern aus den Grundrechten ist
auch eine Schutzpflicht des Staates für das geschützte Rechtsgut abzuleiten. (vgl. Urteil BVerfG, 1.12.2009, 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 aus: www.bundes-verfassungsgericht.de, Pressemitteilung
Nr. 134/2009 vom 1. Dezember 2009)
Das Hessische Verwaltungsgericht hat diese Deutung in seinem Urteil vom 15. Mai 2014 aufgegriffen und den Sonntagsschutz eindrucksvoll bekräftigt. (vgl. Urteil des Hessischen
Verwaltungsgerichtshofs vom 15.05.2014, 8 A2205/13, S.10)
Bemerkenswert ist, wie es den Sonntag als Teil der demokratischen Kultur versteht:
„Die soziale Bedeutung des Sonn- und Feiertagsschutzes und damit der generellen Arbeitsru-he im weltlichen Bereich resultiert wesentlich aus der synchronen Taktung des sozialen Le-bens. Der
zeitliche Gleichklang einer für alle regelmäßigen Arbeitsruhe ist daher ein grundlegendes Element für die Wahrnehmung der verschiedenen Formen sozialen Lebens und betrifft insbesondere Familien
und gesellschaftliche Verbände. Die Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen ist damit wesentlicher Bestandteil der Rahmenbedingungen des Wirkens politischer Parteien, der Gewerkschaften und sonstiger
Vereinigungen. Insoweit kommt ihr wesentliche Bedeutung für die Gestaltung der Teilhabe im Alltag einer gelebten Demokratie zu.“ (vgl. Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
15.05.2014, 8 A2205/13, S.8)
Für die Situation in Hessen stellt das Gericht zudem noch die Bedeutung des Sonntagsschut-zes angesichts der weitreichenden Ladenöffnungszeiten heraus:
„Abschließend weist der Senat darauf hin, dass eine äußerste Zurückhaltung bei der Freigabe sonntäglicher Ladenöffnungen immer mehr Bedeutung gewinnt angesichts der Auswirkungen der vollständigen
Freigabe der Ladenöffnungszeiten an Werktagen einschließlich der Samstage von 0 bis 24 Uhr durch den Gesetzgeber (§ 3 Abs. 1 HLöG). Wie allgemeinkundig ist, hat diese Regelung dazu geführt, dass
die Verkaufsstellen namentlich größerer Ladenketten vor allem an den Stadträndern, aber auch in den Innenstädten, tatsächlich auch zur Nachtzeit geöffnet bleiben und dass auch Supermärkte in
kleineren Gemeinden ihre Läden zu Zeiten geöffnet halten, die früher dem Familienleben und der Wahrnehmung sozialer, gesellschaftlicher oder sportlicher Aktivitäten vorbehalten waren. Dies
reduziert nicht nur für die betroffenen Arbeitnehmer im Einzelhandel die Möglichkeiten eines zuverlässig sozial getakteten Privatlebens an Werktagen, sondern beeinflusst auch das soziale
Verhalten potenzieller Kunden, denen der abendliche oder nächtliche Einkauf in der Werbung als besonderes Freizeitvergnügen schmackhaft gemacht wird. Umso wichtiger wird es, durch möglichst
strikte Einhaltung der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen einen Ausgleich für diese zunehmende Kommerzialisierung bisheriger Freizeit zu gewährleisten, um dem Einzelnen die Möglichkeit der
selbstbestimmten physischen und psychischen Regeneration wenigstens an diesen Tagen zu geben (BVerfG, a.a.O., Rn. 146).“ (vgl. Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15.05.2014, 8
A2205/13, S.14)
Aus all diesen maßgeblichen Gründen für den Sonntagsschutz lehnen wir den Geset-zesentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes ab.
Erst eine restriktive und verantwortungsvolle Genehmigungspraxis bezüglich der Ausnahmen beim Sonntagsschutz entspricht unserer Auffassung nach der wirklichen Bedeutung des Sonntags für unsere
Gesellschaft.
Dr. Jochen Gerlach und Martina Spohr
Referat Wirtschaft-Arbeit-Soziales der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck